Archehöfe - Rasse statt Masse
Nicht nur Pandabär, Nashorn und Tiger sind vom Aussterben bedroht. Auch Haus- und Nutztiere, die seit Jahrhunderten auf Österreichs Bauernhöfen leben. Archebauer Thomas Strubreiter kämpft dagegen an.
Nicht nur Pandabär, Nashorn und Tiger sind vom Aussterben bedroht. Auch Haus- und Nutztiere, die seit Jahrhunderten auf Österreichs Bauernhöfen leben. Archebauer Thomas Strubreiter kämpft dagegen an.
Gerade war noch Spätsommer. Jetzt ist es kühlschrankkalt, die Berge über dem Salzburger Lammertal sind weiß angezuckert. Den Mangaliza-Schweinen am Auerhof macht das nichts aus. Ihre dicke Speckschicht und das dichte Fell mit integrierter "Dauerwelle" halten sie warm.
Mangaliza: Gut Fleisch braucht Weile
"Ein Mangaliza-Schwein wächst langsamer, dafür die Fleischqualität besser", erklärt Thomas Strubreiter, der Bauer am Auerhof. "Es braucht fast ein Jahr, bis es 100 Kilo hat. Moderne Schweinerassen dagegen müssen das gleiche Gewicht in weniger als 90 Tagen erreichen. Und man hat ihnen zwei zusätzliche Rippenbögen angezüchtet. Das heißt: vier Koteletts mehr." Auch unsere Essgewohnheiten haben sich verändert: Immer magerer soll Schweinefleisch sein. Da passt das fettreiche Managliza-Fleisch nicht mehr so recht zum Lifestyle.
Der Konsum entscheidet
Mit unserem Einkaufsverhalten stimmen wir auch über die Landwirtschaft von heute ab: Klasse oder Masse? Thomas Strubreiter ist überzeugt: "Das Hauptproblem ist, dass sich alles nur mehr um den Preis dreht. Wenn sich der Konsument erwartet, dass er immer noch billiger essen kann, dann geht die Landwirtschaft halt in Richtung Industrie. Da kann man sich ausrechnen, was man isst. Letztendlich muss jeder Einzelne entscheiden, wofür er sein Geld ausgeben will: Fürs neueste iPhone oder für etwas Anständiges zu essen."
Archehof als Modernisierungsverlierer
Thomas betreibt seit 18 Jahren einen von gut 70 Archehöfen in Österreich, zusammen mit seiner Frau Michaela und Tochter Sissy. Auf diesen Bauernhöfen werden ganz spezielle Tiere gehalten, gezüchtet und vor den Vorhang geholt: heimische Nutztiere, die vom Aussterben bedroht sind.
Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die Wirtschaftsmaxime des „Immer mehr“ auch im Stall und am Teller Einzug. Zum Beispiel wurden einige wenige Rinderrassen auf Hochleistung gezüchtet, meist nur in einem einzigen Bereich. Sie sind nun top bei der Milchproduktion. Oder beim Fleischertrag. Alte Nutztierrassen dagegen bieten zwar oft einen guten Kompromiss aus beidem. Von der Menge her spielen sie jedoch weder bei Fleisch noch bei Milch in der Champions League. Schon eher auf Bezirksliga-Niveau. So gerieten diese alten Rassen an den Rand des Aussterbens.
Im folgenden Podcast erzählt Thomas von seinem Leben mit der Familie am Archehof. Höre doch gleich mal rein:
Regionalität auf vier Beinen
Dabei haben die alten Allrounder den „Turbo-Spezialisten“ einiges voraus: Sind meist optimal an die lokalen Gegebenheiten angepasst: Eine Kuh auf einer Tiroler Alm muss einfach geländegängiger, genügsamer und robuster gegenüber Wind und Wetter sein als ein Rind, das großteils im Stall steht. Vor allem aber punkten die alten Nutztierrassen bei Fleisch und Milch mit Qualität statt Quantität. Und mit nachvollziehbaren Produktionsmethoden.
Zudem ist es durchaus riskant, wenn die weltweite Viehhaltung nur auf einige wenige Hochleistungsrassen setzt: Was, wenn sich Klima oder Ernährungsgewohnheiten ändern? Oder wenn Krankheiten auftreten? Dann wird die Menschheit vermutlich froh sein, wenn ihre Nutztiere genetisch „breiter aufgestellt“ sind. Schließlich gilt bei Genreserven: Verloren ist verloren. Endgültig.
Pustertaler Sprinzen: plötzlich unerwünscht
Nah dran am Abgrund war auch Thomas‘ Haupt-Rinderrasse, die Pustertaler Sprinzen. Sie haben ihren Namen vom Herkunftsgebiet, dem Südtiroler Anteil des Pustertales. Und von den charakteristischen Farbtupfen auf Kopf und Flanken („Sprinzen“). „In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie galten diese Rinder als legendäre Wunderkühe, die über 700 Kilo schwer waren und 20 Liter Milch am Tag gaben“, weiß Thomas. „Dann kam der Erste Weltkrieg und Südtirol fiel von Österreich an Italien. Italien wollte nichts, was an Österreich erinnert und hat daher die Pustertaler Sprinzen verboten. Danach wurden die Tiere teilweise auf Hochalmen versteckt, damit sie der Kontrollor nicht sieht.“ Dennoch blieben letztlich nur mehr 60 Tieren auf vier Betrieben. „Das hat mich so bewegt, dass ich auch in Österreich meinen Teil zur Erhaltung beitragen wollte! Heute sind wir fast 400 Züchter mit knapp 2.000 Tieren.“
Geben und Nehmen
Warum sich Thomas den Aufwand antut? Weil er nicht alles in Geld bemessen will. Nutztierrassen besitzen als Kulturleistung auch einen ideellen Wert, ähnlich wie Gemälde oder Sinfonien. Und aus einer tiefen Wertschätzung heraus: „Meine Familie lebt seit 900 Jahren hier im Lammertal. In schwierigen Zeiten konnten meine Vorfahren nur mithilfe der alten Nutztiere überleben. Deshalb geben wir ihnen nun etwas zurück – jetzt, wo sie selbst schwierige Zeiten durchleben.“